Meistens schreibe ich hier nur über einzelne Aspekte, ohne dabei das größere Thema zu benennen, in das ich sie einordne. Das mache ich, weil ich es wertvoll finde, kleine Dinge zu betrachten. Kontextualisierung hat auch ihren Wert. Aber da sich meine Texte eh immer in den selben Themenfeldern (sexualisierte Gewalt, geschlechtliche Vielfalt, chronische Krankheit, Zwischenmenschliches) bewegen, finde ich es Quatsch, ständig den Kontext zu benennen. Ab und zu ist das auch okay für mich. Heute ist es mal wieder soweit:
Als ich ein Kind war, gab es in meinem Leben viele Probleme. Diese Probleme hingen hauptsächlich mit der massiven (sexualisierten und anderen) Gewalt zusammen, die ich erlebt habe. Dieser Zusammenhang war mir damals aber nicht bewusst.
Als Kind habe ich außerdem davon geträumt ein Junge zu sein. Genauer gesagt: dass mir ein Penis wächst und ich dann ein Junge bin. Und ich habe mir gewünscht, dass die Probleme verschwinden. Und ich habe geglaubt, dass meine Probleme automatisch verschwinden würden, wenn mir ein Penis wächst und ich dann ein Junge bin. Mir war klar, dass mir von allein kein Penis wachsen wird. Und meine Probleme sind erwartungsgemäß nicht verschwunden.
Im Erwachsenenalter habe ich das alles differenziert analysiert. Ich habe verstanden, dass es keinen Zusammenhang zwischen meinem Geschlecht und meinen Problemen gibt. Und ich habe beschlossen, meine begrenzte Kraft erstmal dafür zu verwenden, die „Probleme“ anzugehen. Dafür habe ich den Kontakt zu meiner Familie abgebrochen, bin in eine andere Stadt gezogen, mache seit Jahren Therapie, habe diverse Gewaltschutzmaßnahmen ergriffen und setze mich fortlaufend für die Stabilisierung meiner Psyche ein (diese Aufzählung ist nicht zeitlich geordnet). Das war ein Großprojekt. Ich bin mega stolz auf mich, dass ich das geschafft habe. Die Leistung, die ich dafür erbracht habe, könnte ich wegen ihres Ausmaßes als mein Lebenswerk betrachten. Ich könnte mich zurück lehnen, stolz auf mich sein und den Rest meines Lebens genießen. (An dieser Stelle dürft ihr euch beim Lesen vorstellen, wie ich auf einer Bank vor einem Haus sitze und mit mir selbst mit einer Tasse Tee anstoße.)
Wenn da nicht noch die anderen Lebensbereiche wären, in denen ich mir eine Veränderung wünsche. Und da stehe ich wieder an dem Punkt, wo ich mich für eine Reihenfolge der Großprojekte entscheiden muss, weil meine Kraft begrenzt ist. Diese Entscheidung hatte ich schon mal getroffen: erst möchte ich Kinder bekommen (die in meinem Bauch wachsen sollen). So lange warte ich noch mit einem „richtigen“ trans Outing. (Falls es sowas überhaupt gibt. Ich bin ja ein großer Outing-Kritiker. 1. Weil ich es doof finde, dass die „Gesellschaft“ ein Outing erwartet. 2. Weil ich nicht daran glaube, dass „Outing“ als scheinbar einmaliges Ereignis betrachtet werden kann. Ich habe mich schon hundert mal „geoutet“ und bin immer noch nicht „richtig“ geoutet. Vielleicht schwer vorstellbar für Menschen, die an ein „Outing“-Konzept glauben.)
Mir kommt diese Reihenfolge logisch vor. Schwangerschaft wird so stark mit Weiblichkeit (genauer gesagt: cis Weiblichkeit) verknüpft. Und ich kann mir nicht vorstellen, mit männlichem Vornamen in einem Geburtsvorbereitungskurs zu sitzen. Ich möchte (zusätzlich zu den anderen Herausforderungen einer Schwangerschaft) nicht auch noch die Skepsis und Transfeindlichkeit anderer Menschen aushalten müssen, wenn ich schwanger bin. Ich stelle mir eine Schwangerschaft und Geburt ohnehin schon als Herausforderung vor, weil ich ja chronisch krank bin.
In letzter Zeit hatte ich starke Zweifel an meinem Plan. Das lag vor allem daran, dass es mir wieder schlechter ging und ich mir vorgestellt habe, dass eine Schwangerschaft für mich zu anstrengend ist. Mir ist aufgefallen, dass ich viel zu hohe Erwartungen an mich selbst habe: Ich hatte erwartet, dass ich „irgendwie“ Schwangerschaft und chronische Krankheit unter einen Hut bekomme – ohne Murren und Knurren. Das ist aber wohl sehr unrealistisch.
Es ist ja immer noch ein großes Tabu, dass auch Menschen mit Behinderung oder chronischer Krankheit (oder beidem) Kinder bekommen können/wollen. Ich gehöre auch dazu. Und ich fühle mich ganz schön erschlagen, wenn ich die verschiedenen großen Themen meines Lebens in einem Atemzug denke. „Kinder bekommen“ und „chronisch krank sein“ zusammen zu denken ist mir schon anspruchsvoll genug. Und auch ich neige dazu, komplexe Zusammenhänge auszublenden, wenn ich sie nicht integrieren kann. Deshalb stelle ich das Gender-Thema hinten an. Ich weiß ja auch noch gar nicht, wie es mir in Bezug auf mein Gender geht, wenn ich Kinder habe. Ich gehe zwar davon aus, dass ich dann immer noch männlich bin, aber die Frage ist ja: was möchte ich dann von meinem Gender zeigen und was nicht.
Und wenn ich mich mit der Frage beschäftige, welche Großprojekte ich wann (wie und ob überhaupt) anpacken möchte, habe ich immer den Gedanken dabei: Gefährdet das meine Stabilität und bin ich bereit dieses Risiko einzugehen? Diese Frage ist für mich viel wichtiger als das Durchziehen kraftraubender (kleiner und großer) Projekte.
Ich bin genervt, weil ich schon ziemlich lange nach einem Co-Parent suche. Das schwierigste ist, überhaupt einen ersten Kontakt herzustellen zu Personen, die dafür in Frage kommen. Irgendwie hat sich das Modell „Co-Parenting“ noch nicht so richtig rum gesprochen und es gibt nur sehr wenige Personen, die das wollen. Diese zu finden ist echt schwer. (Aber es fällt mir sehr leicht aus dieser Personengruppe diejenigen auszusortieren, die zwar sagen, dass sie ein Co-Parenting wollen, aber in Wirklichkeit etwas völlig anderes vor Augen haben als ich. Etwas, das ich als „Samenspende“ bezeichnen würde. Oder etwas, das ich als „Partnerschaftswunsch mit daran gekoppelten Kinderwunsch“ bezeichnen würde.) Und bis jetzt war es immer so, dass die Personen, bei denen ich mir vorstellen konnte über ein Co-Parenting ernsthaft zu verhandeln, mir abgesagt haben. Das ist bitter. Und ich bin genervt davon, dass ich zusätzlich zu den anderen Herausforderungen des Lebens auch noch im Bereich „Suche nach einem Co-Parent“ meine Frusttrationsschwelle anheben muss.
Und sonst so? Ich finde es anstrengend, ich zu sein. Ich wünsche mir mehr Leichtigkeit. Aber Sport tut mir gut, Tanzvideos anschauen auch, der Frühling erst recht! Und da ich gerade eine ersthafte Krise hinter mir habe, bin ich gerade dankbar dafür, dass es mir (in Anbetracht der Dimensionen des Dramas) doch relativ gut geht.